Wenn man durch Niederösterreich durchfährt gibt es vieles zu sehen: üppige Wälder, fruchtbare Felder, schon gepflegte Weingüter….

und Winzendorf.

Mit einer Bevölkerung von knapp 2.000 Seelen scheint Winzendorf ein typisches Kleindorf zu sein. Der Zug hupt als er um die Ecke fährt um die Fußgänger zu warnen und ein kleiner Fluss murmelt zwischen der Hauptstraße und der alten Steingrube. Nichts also was die Realität über Winzendorf verraten würde: das Epizentrum des illegalen Schutzmaskenhandels.

Im Herzen von dieser charmanten kleinen Ortschaft ist ein dunkles Geheimnis verborgen. Jedes einzelne von diesen süßen Holzhäusern ist nicht nur ein Familienhaus, sondern auch ein Haus der Industrie. Jeden Tag werden Tausende und Abertausende Mundschutzmasken in Winzendorf geschnitten, genäht und verschickt. Im Keller baut der Durchschnittsösterreicher seinen Weinkeller; der Winzendorfer lagert dort seine Nähmaschinen, immer bereit um die unersättliche Nachfrage von Mundschutzmasken zu sättigen.  Als die Sonne sich hinter dem Berg versteckt gibt es jede Nacht ein feierliches Abendessen. Danach wird der Tisch abgeräumt und das Wohnzimmer kann wieder seine wahre Gestalt annehmen, denn Maschinen und Nähzubehör werden für die Nachtschicht vorbereitet.

Die Arbeitskraft ist genau so fragwürdig wie die Arbeitsmethode. In Winzendorf arbeiten die Volksschullehrer nur halbtags, denn die Kinder müssen um 12uhr bereits wieder an ihren Nähmaschinen sitzen. Eine ganz ungewöhnliche Art der Hausaufgabe.

Noch schlimmer sieht es bei den Besuchern aus: ein zweistündiger Aufenthalt reicht gesetzlich um einen Gast in einem Gastarbeiter zu verwandeln. Nicht umsonst fahren die Züge im Dreistundentakt….

 So wurde ich in das illegalen Maskengeschäft verwickelt, als ich am Bahnhof damals betäubt und entführt wurde.

Eine Stunde später wachte ich auf und erblickte einen scheinbar unendlich langen Tisch, der mit Nähmaschinen und Stoffen fast überfüllt war. Eine Eisenkette hing eiskalt an meinem rechten Fuß. Links und rechts von mir waren dutzenden Männer und Frauen in einem ähnlichen, jämmerlichen Zustand. Ihre blassen, bleichen Gesichte deutete daraufhin, dass die nackte Glühbirne über dem Tisch auch das einzige Licht im Raum war. 

„Herzlich willkommen!“ ertönte eine tiefe Stimme aus der linken Ecke des Raumes. Der Ruf stammte von einem bärtigen Mann der an einer Zigarette zog. Der Vater, nannten ihn die anderen Arbeiter.

„Die Regeln hier sind sehr simpel: wir verlangen von euch 50 Schutzmasken am Tag. Wenn wir diese bekommen, gibt es für euch Essen und einen Schlafplatz. Wenn wir zum Beispiel nur 40 Masken bekommen, dann wirst du den Hunger am nächsten Tag spüren. Und wenn wir weniger als 30 Masken bekommen…“ hier nickte er ominös in die Richtung einer alten Dame, die in einem Schaukelstuhl mit einer Peitsche über den Knien saß. Die Großmutter.

  Verblüfft fragte ich ihn, „Was ist das hier für ein Sweatshop?“

Mit einem schallenden Lachen riss er das Fenster auf. Eiskalte Bergluft strömte hinein. „Ein Sweatshop? Wenn die Temperatur einen zum Zittern bringt, kommt doch niemand ins Schwitzen!“

Vor drei Wochen passierte das. Drei lange Wochen von Messen, Schneiden und Nähen. Als ich diese Geschichte mit einer gestohlenen Nadel unter dem Tisch einkratze ist dies meine einzige Hoffnung: möge die Wahrheit entkommen, auch wenn ich das niemals schaffen werde.

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